Seit Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022 sind Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Fast eine Million von ihnen haben bereits Asyl in Deutschland gefunden. Vier Monate später gründen die gebürtigen Ukrainer Boris Parasochka und Denys Holovatyi ihr Startup OSNOVA in Leipzig. Sie wollen ukrainischen Fachkräften die Perspektive bieten, durch neue Aufträge in der Arbeit zu bleiben. Als Full-Service-Agentur bietet OSNOVA digitale Lösungen und bringt damit das IT-Know-how aus der Ukraine mit dem Digitalisierungsbedarf in Deutschland zusammen.
Boris Parasochka und Denys Holovatyi bilden nicht nur das Gründerduo der jungen Agentur OSNOVA GmbH aus Leipzig. Sie bezeichnen einander auch als beste Freunde. Die beiden Ukrainer sind unabhängig voneinander vor acht Jahren nach Deutschland gekommen. 2017 lernten sie sich beim Meetup „Technology Messenger“ für KI-Fachexpert:innen kennen. Beeindruckt von der Biografie des Meetup-Initiators und ehemaligen Data Scientist beim Münchner Einhorn Celonis, Denys Holovatyi, verabredeten sich beide für das anschließende Feierabendbier.
Die beiden gebürtigen Ukrainer eint neben ihrer Leidenschaft für datengetriebene Anwendungen auch die Sorge um das Wohlergehen ihrer Heimat. Trotz des Kriegsalltags gehen Millionen Menschen ihrer Arbeit nach – doch aufgrund der Situation bleiben vorwiegend Digitalagenturen ohne eingehende Aufträge. Hier setzt die Initiative des Startups OSNOVA an.
Digitale Best Practices aus der Ukraine
Die Ukraine befindet sich im europäischen Vergleichswert des Bruttoinlandsprodukts auf den hinteren Rängen. Doch in der Ukraine sind die Menschen mit der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung wesentlich vertrauter als die Deutschen.
Viele sind es gewohnt, Behördengänge mobil-digital erledigen zu können. Viele Bürger:innen haben ihre Ausweispapiere auf dem Smartphone gespeichert. 2020 ging die mobile App „Diia“ (Aktion) an den Start. Mit ihrer Einführung plante die ukrainische Regierung, staatliche Dienstleistungen wie die Registrierung einer Geburt oder die Eintragung eines Unternehmens zu vereinfachen und in einem zentralen Portal zu vereinen.
© Anton Filonenko / Ukraine Imagebank
Diia Summit in Kyiv
Mit der mobilen App Diia sollen ukrainische Staatsbügerinnen künftig einen Großteil ihrer Behördengänge über ein digitales Portal erledigen können.
Auch im ukrainischen Bildungssektor läuft die Integration von digitalen Lösungen reibungsloser als hierzulande. Sogenannte Educational Technology (EdTechs) machen es möglich. Sie fassen technologieorientierte Unternehmen und Startups zusammen, die Lösungen, Services und Produkte im Bereich der Lern- und Bildungsanwendungen anbieten. Lernen lässt sich mit der Onlineschule Optima, digitale Schulbücher gibt es bei Skhola und auch mit den Lernplattformen Numo und EdEra lässt sich das Wissen erweitern.
Diese Best Practices möchten die Gründer aufgreifen und setzen mit OSNOVA auf Fachkräfte aus der Ukraine. Sie bringen die klugen Köpfe, die in der Ukraine momentan ohne Arbeit und Aufträge sind, mit dem Bedarf an IT-Fachkräften in Deutschland zusammen.
Die digitale Reise wird zum Kinderspiel
Das Startup versteht sich als digitale End-to-End-Agentur und baut digitale Produkte entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Von der Idee und Strategie über die Softwareentwicklung bis hin zur Markteinführung des Produkts. Die Expertise der Leipziger Agentur OSNOVA liegt dabei im Projekt- und Customer-Success-Management.
Für die Abdeckung der gesamten digitalen Wertschöpfungskette setzt OSNOVA vordergründig auf Partnerschaften mit ukrainischen Unternehmen. Der/die Kund:in kann somit ihr/sein Produkt mit einem einzigen Vertrag erwerben.
„Unser Ziel ist es, die digitale Reise des Kunden zu einem Kinderspiel zu machen. Denn so viele Projekte scheitern an wechselnden Zielen, Missverständnissen oder schlechten Übergaben statt sich auf die Anforderungen und Bedürfnisse der User zu konzentrieren. Wir wollen das ändern und bieten deshalb strategische Beratung, Projekt- und Customer-Success-Management.“ – Boris Parasochka, Co-Founder von OSNOVA.
Die Leipziger Agentur bietet ihren Kund:innen einen digitalen Komplettservice an, ohne dass weitere Agenturen oder Entwicklungsteams für die einzelnen Entwicklungsschritte beauftragt werden müssen. Jedes einzelne Element der digitalen Reise wird durch OSNOVAs Partner realisiert. Die Softwareentwicklung erfolgt durch das Kiewer Startup DTeam, während sich die Berliner Firma Other Land um die Entwicklung und Gestaltung der Benutzeroberfläche kümmert. Das Unternehmen Appricotsoft entwickelt mobile Applikationen in Zusammenarbeit mit Entwicklerinnen und Entwicklern aus Kiew und der ukrainischen Stadt Dnipro. Für eine marktfähige Marketingstrategie wird die Kiewer Agentur SpaceSpire eingeschaltet. OSNOVA pflegt derzeit Geschäftsbeziehungen mit zwölf ukrainischen und drei deutschen Partnerfirmen.
Vom Ehrenamt zum eigenen Startup
Für die beiden Gründer und Freunde Boris und Denys ist OSNOVA nicht nur die Chance, eine Grundlage für die Zusammenarbeit zwischen ukrainischen Digitalunternehmen und dem europäischen Markt zu schaffen. OSNOVA, übersetzt mit „Basis“, bietet ukrainischen Fachkräften die Perspektive, durch neue Aufträge in der Arbeit zu bleiben. Nach dem Beginn des Krieges am 24. Februar 2022 gründete Boris den Verein Leipzig helps Ukraine und legte seine Position als Data Product Owner nieder. Sein Engagement wurde rasch zu einer neuen Vollzeitbeschäftigung. Er realisierte, dass er mit dieser unentgeltlichen Vollzeitbeschäftigung früher oder später an seine finanziellen Grenzen stoßen würde und überlegte sich Alternativen, um sein Engagement und seine Berufstätigkeit zu vereinen. Ein erneutes Dienstverhältnis war für ihn keine Option.
„Die Idee lag mehr oder weniger auf der Hand. Es gibt viele kluge Köpfe im digitalen Bereich aus der Ukraine, die gerade ohne Arbeit und Aufträge geblieben sind und es gibt einen riesigen Bedarf in diesem Bereich in Deutschland. Warum also die beiden Welten nicht zusammenbringen? Ich habe Denys angerufen und er war sofort dabei. Zwei Tage später hat er mir eine Präsentation geschickt, wie unser Business Modell aussehen könnte.“
Denys Holovatyi gewährte ihm wertvolle Einblicke in die Schwierigkeiten und Hürden beim Gründen. Seit 2020 ist er selbstständiger IT-Berater für Datenstrategien, Process Mining und Machine Learning. Doch ein Einzelkämpfer steht schnell vor dem Problem, dass die Motivation nachlässt. Denys wagte also einen neuen Versuch mit Boris. Die beiden Gründer sammelten ihre Ersparnisse zusammen und gründeten OSNOVA im Juni 2022 in Leipzig. Inzwischen kann sich das Unternehmen durch eigene Einnahmen selbst finanzieren. Bis zum Abschluss der ersten Festanstellung bemüht sich das Leipziger Startup noch um eine stabile Auftragslage und die Definition ihres Alleinstellungsmerkmals. Doch die Vision ist für das Gründerduo bereits klar.
„Wir haben OSNOVA gegründet, um die Ukraine zu unterstützen, dem Krieg entgegenzuwirken und Menschen in der Arbeit zu behalten. Wir wollen den wirtschaftlichen Austausch zwischen der Europäischen Union und der Ukraine stärken, da es früher oder später dazu kommt, dass die Ukraine ein Teil der europäischen Familie sein wird. Und wer weiß, vielleicht haben wir in 20 Jahren den Fall, dass Tomaten aus den Niederlanden kommen, Wein aus Frankreich, Autos aus Deutschland und die IT aus der Ukraine.“