Die HolyPoly GmbH wurde 2020 in Dresden gegründet. Das Startup bringt nachhaltige Kreislaufkonzepte direkt zu den Markenhersteller:innen und gliedert Recycling mit ihrem “Full-Service-Ansatz” strategisch in die Wertschöpfungskette der führenden Marken ein. Mit Erfolg: Denn das Unternehmen hat seit 2021 seine Umsätze auf rund 1,5 Mio. Euro verfünffacht. Kunden wie Mattel, Lamy, Bosch, NUK und viele mehr setzen bereits auf die Expertise der Dresdner.
Am 14. November startete eine neue ROCKETS-Crowdfunding-Runde mit vollem Erfolg – 236.000 Euro wurden von Kleinkapitalgeber:innen in nur 36 Stunden in den Topf geworfen. Wir wollten mehr über das gefragte Startup erfahren und haben die Geschäftsführer:innen Johanna Bialek und Fridolin Pflüger über die Gründung, ihre Vision und die Liebe zum Kunststoff befragt.
Liebe Johanna, lieber Fridolin – Welche Vision verfolgt ihr mit HolyPoly?
Unser absolutes Ziel sind hochwertige Produkte, die zu 100% recycelt sind – und zu 100 Prozent recyclingfähig. Derzeit ist diese Form der Kreislaufwirtschaft jedoch leider noch die absolute Ausnahme.
Gegenwärtig bestehen erst unter 10 Prozent aller Alltagsprodukte aus recyceltem Kunststoff.
Mit HolyPoly haben wir ein Dienstleistungsunternehmen für Markenhersteller:innen gegründet, die es wirklich ernst meinen mit dem hochwertigen Recycling von Kunststoffen. Das klingt jedoch einfacher, als es in der Realität ist: Denn in der Praxis gibt es dabei leider eine Vielzahl an Hürden. Um diese zu umgehen, agieren wir über den gesamten Lebenszyklus eines Produktes hinweg und lösen solange Probleme, bis der Plastikkreislauf auch wirklich funktioniert.
Wie sieht euer aktuelles Team aus?
Unser Team ist vielseitig aufgebaut und besteht aus 26 festangestellten und 40 freiberuflichen Spezialisten verschiedener Disziplinen: Design, Materialforschung, Kommunikation, Produktion, Prozessentwicklung…
Wir alle teilen eine Vision: Eine Welt, in der Recycling ganz selbstverständlich ist. Denn jede Tonne Recycling-Plastik vermeidet zwei Tonnen klimaschädliches CO2, rettet Abfall vor der Verbrennung und senkt den Verbrauch von Erdöl.
Wie seid ihr auf die Idee zu HolyPoly gekommen?
Vor sieben Jahren haben wir zunächst mit der mobilen Recyclingwerkstatt „Kunststoffschmiede“ begonnen, mit selbstgebauten „Precious Plastic“-Maschinen aus gebrauchten Kunststoffen neue Produkte herzustellen. Dabei ging es vorrangig darum, das Thema Plastikrecycling durch eine eigene Erfahrung erlebbar zu machen.
Mit unserem offenen Workshop-Programm, bei dem wir beide uns kennen gelernt haben, waren wir dann in ganz Europa unterwegs und plötzlich riefen uns Markenhersteller:innen wie Ecover oder Mattel an. Bei diesen Firmen gibt es zwar ein großes Interesse am Thema Recycling – aber erstaunlich wenig Know-how. In dem Bereich wird fast ausschließlich partielle Beratung und Unterstützung angeboten, aber noch gibt es keine Komplettanbieter:innen. Deshalb haben wir etwas größer gedacht und “HolyPoly” ins Leben gerufen – als Full Service Partner, der Marken von der Idee bis zur Umsetzung tatkräftig zur Seite steht.
Für uns wurde mit der Zeit immer klarer: Wir könnten was bewegen! Wenn wir es hinbekommen, mit selbstgebauten Maschinen einen Kreislauf zu schließen, dann muss das auch industriell gehen. Wir wollten nicht selbst zum Markenhersteller werden und das nächste nachhaltige Produkt in die Läden stellen, sondern möglichst viele Markenhersteller dazu befähigen, selbst umzudenken und verantwortlich zu handeln.
Wofür steht euer Name – „HolyPoly“?
„HolyPoly“ steht für unsere Liebe zu Plastik. Wir sind überzeugt davon, dass Kunststoff einen wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten wird – und auch heute schon tut. Viele Menschen denken beim Stichwort „Plastik“ an vermüllte Strände und strangulierte Schildkröten. Dabei ist Kunststoff leicht, vielfältig einsetzbar und lässt sich mit vergleichsweise wenig Energie leicht recyceln.
Doch momentan wird noch ein Großteil dieser wertvollen Materie verbrannt. Das finden wir absurd: Plastik wird mit so viel Aufwand aus Erdöl gewonnen, nur um dann im Verbrennungsofen – und somit in der Atmosphäre – zu landen?
Eine funktionierende Kreislaufwirtschaft ist möglich, auch wenn dafür viele Dinge neu gedacht werden müssen. Das heißt zum Beispiel, dass ein Waschmittel-Hersteller seine Verpackung nicht mehr komplett bedruckt, sondern möglichst transparent gestaltet und nur noch ein kleines Etikett aus demselben Material darauf klebt. So kann die Sortiermaschine das später leichter erkennen.
Was schätzt ihr an dem Werkstoff Kunststoff besonders?
Unsere Faszination gilt vor allem der Wandelbarkeit des Materials Kunststoff in Bezug auf Farbe, Haptik und funktionelle Eigenschaften. Auch aus Klimaschutzgründen ist die einfache Formbarkeit bei wenig Energieaufwand, die niedrige Dichte oder die hohe Langlebigkeit hochinteressant. Diese Flexibilität besitzt kein anderer Werkstoff.
Wo gibt es seitens der Industrie aktuell den größten Handlungsbedarf?
Das große Problem an Plastik ist, dass es immer wieder an Orte gelangt, wo sie niemandem Freude bereitet oder nützt - in den Ozean, an den Nordpol, in unser Essen. Verantwortlich dafür ist aber nicht das Material, sondern unser Umgang damit. Trotz herausragender Materialeigenschaften ist der Preis von Neuplastik so unfassbar niedrig, dass davon jeden Tag Unmengen in Müllverbrennungsanlagen und auf Deponien vernichtet werden – oder eben in der Umwelt landen. Damit geht nicht nur der Nutzwert des Materials verloren, sondern es entstehen große Schäden für den Planeten – und für das Image von Plastik.
Für die Industrie heißt das, dass sie den Werterhalt von Kunststoffen ins Zentrum ihrer wirtschaftlichen Überlegungen stellen müssen. Sie muss Recycling und weitere technische Kreisläufe zur Grundlage ihrer Geschäftsmodelle machen. Dieser Transformationsprozess erfordert viel Engagement und hohe Investitionen, weil oft Prozesse und Infrastruktur erst aufgebaut werden müssen, um die Kreislaufwirtschaft zum Laufen zu bringen. Marken kommt hier eine besondere Verantwortung zu: Sie können – wenn sie denn wirklich wollen – wie kein anderer Akteur das gesamte System wandeln. Deswegen richten wir uns direkt an sie.
Was macht das Recycling von Kunststoffen eigentlich so kompliziert?
Hersteller:innen sind seit Jahrzehnten darauf eingestellt, exakt das Material geliefert zu bekommen, das sie brauchen – in nahezu beliebigen Mengen und bei immer gleichbleibender Qualität. Alle Industrieprozesse von Chemie bis Verarbeitung sind darauf optimiert, das Material dem Produkt anzupassen. Doch auch mit recyceltem Kunststoff kann man die allermeisten Produkte herstellen – aber dafür müssen die Hersteller:innen umdenken. Gebrauchtes Plastik hat etwas erlebt, die Farbe weicht ab.
Produkte und Produktionsprozesse dem noch unterentwickelten Recyclingmarkt anzupassen, ist aufwändig, mit Mehrkosten verbunden und riskant. Bisher bestand leider weder die Notwendigkeit noch der Anreiz, dieses Risiko einzugehen. Mittlerweile sehen sich Marken aber gezwungen, sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gegenüber positiv zu verhalten. Der Druck kommt von den Verbraucher:innen, besonders von jungen Leuten – und die Politik ist dabei, mit Gesetzen und Regularien nachzuziehen.
Welchen Beitrag kann euer Startup konkret leisten?
Wir helfen unseren Kund:innen gezielt, die vielen Hürden auf ihrem individuellen Weg in eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu nehmen. Dabei beraten wir nicht nur, sondern liefern das komplette Design, Engineering und die Umsetzung mit. Auch Storytelling und Marketing werden von uns mitgedacht. All diese Aspekte müssen aus einer Hand kommen, damit sich der Kreis schließt und es den Konsument:innen gegenüber glaubwürdig ist. Wir versammeln also alle Kompetenzen unter einem Dach, damit nicht nur gute Ideen entstehen, sondern auch in die Serie kommen und so wirklich das Klima entlasten.
So kann schließlich der ausgediente Akkuschrauber wieder zum Werkzeug werden und eine abgenutzte Puppe zum neuen Spielzeug.
Wie kann man eine funktionierende Kreislaufwirtschaft anstoßen und installieren?
Ein gutes Beispiel hierfür ist das Recyclingprogramm “PlayBack”, das wir im Auftrag des Spielwarenherstellers Mattel in Deutschland betreuen und das gerade in die zweite Runde startet. Das Unternehmen hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 in sämtlichen Produkten und Verpackungen zu hundert Prozent recycelte, recycelbare oder biobasierte Kunststoffe einzusetzen. Die Idee dabei ist es, kaputte Spielzeuge als Rohstoffquelle für die Produktion nutzbar zu machen und aus den Erfahrungen des Recyclingprogramms wertvolle Erkenntnisse für die Implementierung der Kreislaufwirtschaft bei Mattel zu erlangen.
Warum richtet ihr euch direkt an Markenhersteller:innen?
Markenhersteller:innen haben einfach den größten Hebel, um die Kreislaufwirtschaft anzustoßen. Auf der Suche nach einem geeigneten Ansatz für systemischen Wandel in der Kunststoffindustrie ist uns die besondere Rolle der „Brand Owner“ aufgefallen. Alle zeigen mit dem Finger auf sie, doch die Hürden, vor denen sie bei der Umsetzung von Kreislaufwirtschaft stehen, sind für sie aus eigener Kraft kaum überwindbar.
Unsere Idee: Wenn Marken mit klarer Haltung recyceltes Material einsetzen oder eigene Recyclingprogramme initiieren, wird die ganze Industrie nachziehen, weil Marken nunmal vorgeben, was wie produziert wird (und damit was später einmal Abfall wird). Dabei kommt auch noch ein kultureller Aspekt zum Tragen: Marken vermitteln mit ihren Produkten indirekt auch Werte – und können so Recycling zum Lifestyle und damit Alltag werden lassen.
Was kann jede:r Einzelne tun, um eure Vision zu unterstützen?
Jede:r kann beim Einkauf darauf achten, Produkte zu kaufen, die aus recycelten Material bestehen und recyclingfähig sind. Beim Entsorgen sollte man darauf achten, den Müll gut und gewissenhaft zu trennen. Das geht dabei los, den Deckel vom Joghurtbecher abzuziehen, damit die Maschine den Deckel vom Becher unterscheiden kann. Doch die Verantwortung für einen nachhaltigen Wandel darf nicht auf die Verbraucher:innen abgewälzt werden. Jetzt sind die Hersteller am Zug! Das ist der Grund, warum wir machen, was wir machen.
Liebe Johanna, lieber Fridolin, herzlichen Dank für das spannende Interview und viel Erfolg auf eurer Mission!