Wer viel auf sozialen Netzwerken unterwegs ist, kennt das Gefühl von Perfektion umgeben zu sein. Freunde, Familie und Unternehmen posten ihre Erfolge, von Niederlagen keine Spur. Dabei ist es wichtig auch über diese zu sprechen, denn sie gehören zum Leben und zum Startup-Alltag dazu. DIE FRISCHEMANUFAKTUR Gründerin Dr. Jenny Müller hat es zum Teil der Unternehmenskultur in ihrem Startup gemacht, über das Scheitern zu sprechen und lockt damit sogar Bewerber:innen an. Wie es dazu gekommen ist, und wie sie selbst lernen musste, sich Niederlagen einzugestehen, darüber haben wir mit ihr gesprochen.
Vom Obstsalat 2-Go zum LIEBLINGSWASSER
In der Region Mitteldeutschland und darüber hinaus ist DIE FRISCHEMANUFAKTUR längst bekannt und das LIEBLINGSWASSER steht seit 2020 auch in Supermärkten in ganz Deutschland und Österreich. Angefangen hat aber alles mit Obstsalat 2-Go, der dank eines innovativen Verfahrens länger frisch bleibt als es sonst der Fall wäre. Doch das Produkt entpuppte sich schnell als Fail, kaum jemand wollte es kaufen.
Diese Tatsache zu akzeptieren, das habe eine ganze Weile gedauert, erzählt uns Dr. Jenny Müller. Damals habe sie sogar ihren ersten Sales Mitarbeiter entlassen, weil dieser weniger Produkte verkaufte als sie selbst, die sich als Gründerin nur nebenbei immer mal wieder mit dem Vertrieb beschäftigte.
“Ich wollte mir damals erst nicht eingestehen, dass unser Produkt nicht funktioniert, obwohl mein Team mich schon früh auf die Anzeichen aufmerksam machte“, erzählt sie uns im Interview.
Der neue Mitarbeiter legte zwar bessere Verkaufszahlen auf den Tisch, aber öffnete der Gründerin schließlich auch die Augen für das grundlegende Problem. Eine Woche lang hielt sich der Obstsalat, 3-mal so lange wie Konkurrenzprodukte. Trotzdem mussten ihn die Händler:innen aus dem Sortiment nehmen. Da auch in der 3-mal so langen Zeitspanne fast niemand das Produkt kaufen wollte, sprangen die Händler:innen schnell wieder ab.
Erst als sie einen letzten Batch des Obstsalats in einer von Münchens teuersten Einkaufsstraßen platzierte und der Verkaufsboom trotz der deutlich höheren Zahlungsbereitschaft der Kund:innen ausblieb, fiel schließlich der Groschen. Zu diesem Zeitpunkt lief zum Glück parallel schon die Entwicklung des LIEBLINGSWASSERs. Mithilfe eines Kredits der bb-mbg Sachsen-Anhalts, brachte das Team sein neues Produkt schließlich in die Läden. Für den Kredit bürgt die Gründerin persönlich, weil sie an das neue Produkt glaubt. Heute weiß Jenny Müller auch, dass es funktioniert.
Das Wasser, das mit Früchten und Kräutern versetzt ist und dank einer ähnlichen Technologie zur Konservierung drei Monate lang haltbar und frisch bleibt, kommt bei Kund:innen so gut an, dass das Team jetzt eine eigene Produktion in Beuna aufbaut, um die steigende Nachfrage – vor allem in den Sommermonaten – zu bedienen.
Deshalb sollten Startups übers Scheitern sprechen
Auch wenn jetzt alles gut läuft, Jenny Müller spricht weiterhin offen über die Erfahrungen mit ihrem ersten Produkt. Damit bricht sie ein Tabu, das leider immer noch allzu weit verbreitet ist. Auf Social Media Plattformen und in der Presse kommunizieren Startups und Unternehmen in erster Linie ihre Erfolge, das spiegelt allerdings selten die Realität wider.
“Der Großteil an Leuten, die ein Startup gründen, tun dies zum ersten Mal. Und wenn man Dinge zum ersten Mal macht, gehört Fehler machen einfach dazu. Das gilt genauso für die Mitarbeiter:innen. Entscheidend ist, wie man im Unternehmen schließlich damit umgeht.”
Das wird in einer Studie zum Thema Fehlerkultur von 2018 besonders deutlich. Diese hat ergeben, dass knapp 80 Prozent der befragten Führungskräfte Fehler machen, die den Betriebsablauf stören oder Projekte verzögern, diese aber häufig verschweigen oder sogar vertuschen. Die Gründe dafür sind vielfältig, hängen aber oft mit Sorge vor Imageverlust zusammen.
Die Studie zeigt gleichzeitig, dass die unternehmerischen Fähigkeiten – innovativ und wettbewerbsfähig zu sein – sogar im direkten Zusammenhang mit einer positiven Fehlerkultur stehen. Offen mit den Themen Fehler machen und Scheitern umzugehen kann also dabei helfen, eine Unternehmenskultur zu schaffen, in der sich alle trauen, sofort anzusprechen, wenn etwas schiefgegangen ist und nicht erst dann, wenn es schon zu spät ist.
Das kann auch Jenny Müller aus ihrer Erfahrung heraus bestätigen. Als Gründerin versucht sie deshalb, mit gutem Beispiel voranzugehen und sich Fehler nicht nur selbst, sondern auch gegenüber ihrem Team einzugestehen.
Für mehr Authentizität in den sozialen Medien
Aber nicht nur auf die eigene Unternehmenskultur hat sich die Erfahrung positiv ausgewirkt. Jenny Müller ist der Überzeugung, dass es ebenso wichtig ist, nach Außen hin offen über Fehlerkultur und das Scheitern zu sprechen. Das schaffe nicht nur mehr Transparenz und Authentizität, sondern macht darüber hinaus auch anderen Gründer:innen Mut, bei denen eben auch nicht alles auf Anhieb funktioniert. Über LinkedIn teilt die Gründerin deshalb regelmäßig einen “Fail des Monats”.
Per Klick geht’s zum LinkedIn Post
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Und der Fail des Monats kommt gut an. So gut, dass sich sogar Leute genau deswegen bei dem Unternehmen melden:
“Wir hatten zuletzt eine Bewerberin, die unseren Fail des Monats auf YouTube gesehen hat, und ihn so cool fand, dass sie sich beworben hat.”, erzählt die Gründerin.
Aber wie es auf Social Media oft der Fall ist, eckt DIE FRISCHEMANUFAKTUR damit auch an. Es erreichten das Team einige Nachrichten, ob bei ihnen eigentlich nichts klappen würde. So wurde aus dem Format, um über Learning zu sprechen, ein eigenes Learning. Seitdem teilt das Team via Social Media auch regelmäßig einen “Grund zum Feiern”.
Einen neuen Grund zum Feiern wird das Team spätestens im April haben, dann soll die neue Anlage in Beuna in den Betrieb gehen. Auf 1.900 QM können dann bis zu 2.000 Liter LIEBLINGSWASSER pro Stunde abgefüllt werden. Darüber werden wir, wenn es so weit ist, natürlich berichten.