Hans-G. Unrau
Mit zwei Klicks ein Buch bestellen, swipen und den Video-Anruf annehmen, E-Mails verschicken, online die Stromrechnung bezahlen: Die Digitalisierung ist im Alltag häufig so selbstverständlich, dass es nur schwer vorstellbar ist, dass ihre zahlreichen Möglichkeiten einigen Menschen völlig fremd sind. Doch der digitale Wandel schließt vor allem Senior:innen immer mehr vom gesellschaftlichen Leben aus. SenCircle aus Halle wollen das ändern. Das Startup hat eine Plattform entwickelt, die Rentner:innen mit wenigen Klicks zu Silver Surfer:innen macht.
Ein Gastbeitrag von Melanie Friedrichs und unserem Partner Univations GmbH.
Die Digitalisierung sei wie ein großer dunkler Raum, einschüchternd und ein wenig unheimlich. Beschreibungen wie diese hört Daniel Krüger von der SenCircle GmbH häufig von älteren Menschen, mit denen er ins Gespräch kommt. So prägen Unsicherheit, fehlende Orientierung und manchmal auch Ängste den Alltag älterer Menschen, wenn sie vor digitalen Herausforderungen stehen. Und das, obwohl Studien zeigen, dass Senior:innen ihre digitalen Anliegen am liebsten selbstständig erledigen würden. Noch sind die Retter in der Not meist die technikaffinen (Enkel-)Kinder. Aber Daniel und seine Mitgründer Christian Hoffmann und Timo Klaus haben einen anderen Plan, damit der älteren Generation in der digitalisierten Dunkelkammer das Licht aufgeht. Mit ihrer Plattform-Lösung wollen sie Senior:innen am digitalen Leben teilhaben lassen.
Startklar ohne Umwege
Mit dem Namen ihres frisch gegründeten Startups haben die drei Gründer ihr Ziel auf den Kopf getroffen. Das Konzept von SenCircle, englisch abgekürzt für Seniorenkreis, sieht eine digitale Senior:innen-Community vor, mit deren Hilfe der digitale Kontakt zu Unternehmen vereinfacht wird.
„Durch die Digitalisierung werden immer mehr Filialen, zum Beispiel von Banken, Versicherungen oder Event-Anbietern, geschlossen. Das schneidet viele Senior:innen vom Alltag ab. Wir versuchen ihnen wieder Zugang zu diesen Dienstleistungen zu geben“, sagt Daniel im Interview mit Startup Mitteldeutschland.
Nicht zuletzt aufgrund des demografischen Wandels werden Senior:innen zunehmend eine ernstzunehmende Zielgruppe. Digitale Helfer-Tools könnten ihren Alltag erleichtern – wenn da nicht die Barriere der fehlenden digitalen Kompetenz wäre.
„Es gibt tatsächlich schon viele gute Ideen. Aber sie alle funktionieren als Insellösung. Dabei sind Senioren mit dem Herunterladen von Apps häufig schon überfordert, vom Kauf eines Tablets ganz zu schweigen“, erklärt Christian.
Das niederschwellige Angebotspaket von SenCircle setzt schon vorher an.
Es beginnt beim digitalen Endgerät. Die Senior:innen erhalten ein startklares Tablet. Um der Überforderung von Anfang an Einhalt zu gebieten, hilft anschließend ein spezielles Onboarding. Dafür füllen die Benutzer:innen zuvor einen Fragebogen aus, um von SenCircle richtig eingeschätzt zu werden. Wenn sie ihr Tablet nun einschalten, erhalten sie eine Einführung mit leicht verständlichen Texten – individuell an die Vorkenntnisse der Rentner:innen angepasst. Statt der gängigen App-Oberfläche finden die Nutzer:innen eine intuitiv zu bedienende Plattform namens SenAssist vor. Mit sieben Grundfunktionen deckt SenAssist alle digitalen Bedürfnisse von Menschen im Alter ab und bietet den Technik-Neulingen einen sicheren Rahmen für die ersten Schritte im digitalen Raum.
Montage: SenCircle GmbH
Große Schriften, übersichtliche Funktionen, eine zusätzliche App für Angehörige – und alles auf deutschen Servern. Die Plattform SenAssist schafft eine einfache und sichere Möglichkeit, für die ersten Schritte im digitalen Raum.
Qualitätsmerkmal: Ausgestattet mit SenAssist
Als Herzstück fungiert die Kommunikationsfunktion, um mit Verwandten, Freund:innen, aber auch Ärzten per E-Mail oder Videochat zu kommunizieren. Darüber hinaus gibt es einen Freizeitplaner, einen Kalender, einen Ordner zum Speichern von wichtigen Dokumenten, einen persönlichen Ratgeber und eine digitale Filiale mit dem Zugang zu kooperierenden Unternehmen. Die Schrift ist groß, die Funktionen in übersichtlichen Kacheln angeordnet und die Senior:innen können sofort loslegen: chatten, Bilder anschauen, Eintrittskarten kaufen, Online-Bestellungen tätigen, einen Konzertbesuch planen, mit ihrer Bank sprechen – und mit ihren Vermieter:innen in Kontakt treten.
Letztere nehmen im Geschäftsmodell der SenCircle GmbH eine zentrale Rolle ein. Genossenschaften, betreute Wohnanlagen und private Vermieter:innen mit vielen älteren Mietparteien sind die Zielgruppe des Startups. Mietobjekte, in denen Senior:innen leben, sollen gegen eine monatliche Gebühr mit SenAssist ausgestattet werden.
„Die Vermieter schließen einen Vertrag mit uns und ihre Mieter bekommen im Gegenzug ein Tablet mit der vorinstallierten Software“, erklärt Daniel.
Damit verbessern die Unternehmen die Lebensumstände ihrer Bewohner:innen und steigern selbst ihre Attraktivität als Wohnungsanbieter:innen.
Ein weiteres Plus: Durch SenAssist können Vermieter:innen plötzlich mit ihren älteren Mieter:innen digital kommunizieren und so Kosten einsparen. Häufig sei in der Miete bereits eine Service-Pauschale für die Kommunikation zwischen den beiden Parteien enthalten. Sie könnte dann zum Teil auch an SenCircle fließen.
„In zehn Jahren, wenn bei einem Online-Immobilienportal als Kriterium ausgewählt werden kann, ob die Wohnung mit SenAssist ausgestattet ist, dann haben wir es geschafft“, sagt Christian. „Oder sogar schon in zwei?“
Drei Gründer vom Fach
Das Trio ist davon überzeugt, seine Technologie wird viele Senior:innen aus ihrer Einsamkeit holen und ihnen ein Stück Selbstständigkeit auf digitalem Weg zurückgeben.
„40 Prozent der älteren Menschen schauen am Tag sechs Stunden fern. Obwohl die Gesellschaft im Zimmer oder der Wohnung nebenan wäre, wird ein Senior niemals einfach so an die Nachbartür klopfen“, sagt Daniel.
Das weiß der Gründer aus seiner Zeit als Betriebsleiter bei einem Anbieter für betreutes Wohnen. Dessen Geschäftsführer ist Mitgründer Timo.
Als beiden auf einer Familienfeier die Idee einer digitalen Filiale für Senior:innen kam, war Daniel noch als Senior Consultant für digitales Kundenmanagement tätig und konzipiert digitale Filialen für Unternehmen wie Sparkassen. Timo als Geschäftsführer der Wohnanlage und eines Pflegedienstes erkannte den dringenden Bedarf einer digitalen Filiale für Senior:innen. Daraufhin machte er Daniel das Angebot, vorrübergehend Teil seines Unternehmens zu werden. Um die Bedarfe und Abläufe der Anlage zu verstehen und sich ganz auf die neue Aufgabe fokussieren zu können, kündigte Daniel als Senior Consultant und stürzt sich in die Recherche.
Am Anfang waren vor allem viele Fragen. Was ist den älteren Menschen wichtig? Wie funktionieren die Prozesse in der Wohnanlage? Würden Senior:innen digitale Helfer nutzen? Mit den Antworten tapezierte Daniel sein Büro ganz nach Design-Thinking-Philosophie. Es entstand das Grundkonzept von SenAssist. Danach holte er Christian, einen ehemaligen Kollegen, als Software-Entwickler ins Boot.
„Ich hatte schon länger das Fragezeichen im Kopf, ob ich nicht noch mal etwas ganz anderes ausprobieren möchte“, sagt Christian.
Im Sommer 2021 kündigte auch er seinen Job, um sich auf die Entwicklung eines Minimum Valueable Product (MVP) zu konzentrieren. In SenAssist vereinen die drei Gründer ihre Expertise aus der Betreuung von Senior:innen, dem Aufbau digitaler Filialen und dem dafür nötigen technischen Knowhow.
Hans-G. Unrau
SenCircle präsentierten ihre Idee erstmals auf öffentlich auf dem Investforum Pitch-Day 2021. Investor:innen und Gäste zeigten sich überzeugt. Foto: Univations GmbH
Mehr Sicherheit durch Angehörige
Die wohl kritischste Testerin konnten die drei mit ihrem MVP bereits überzeugen. „,Ach Daniel, wer braucht denn sowas?‘, hat mich meine Oma gefragt“, erinnert sich Daniel und schmunzelt. Die betagte Frau von 90 Jahren zeigte sich besonders skeptisch, als ihr Enkel ihr SenAssist präsentierte. Sie habe sich die Bedienung am Anfang nicht zugetraut. Am Ende siegte jedoch die Neugier und sie probierte die Funktionen fleißig aus.
„Wir wollen Senior:innen nicht nur in Zeiten von Corona animieren, digitale Dienstleistungen zu nutzen und ihnen erklären, dass es kein Hexenwerk ist, sondern sehr sicher sein kann“, sagt Daniel.
Um Berührungsängste mit der digitalen Welt abzubauen, lautet das Zauberwort Peer-to-Peer-Kommunikation, also die Kommunikation unter Gleichgesinnten. Erfahrungswerte aus der eigenen Altersgruppe würden schwerer wiegen, Neugier und Interesse sei bei vielen bereits vorhanden. Für Senior:innen sei Digitalisierung ein wichtiges Thema, doch die Ängste vor Betrug oder Computer-Viren schüchterten sie zu sehr ein, so Daniel. Zur zusätzlichen Absicherung entwickelt SenCircle aus diesem Grund eine App für Angehörige, welche sie über Prozesse wie Online-Einkäufe oder verdächtige E-Mails informiert.
„Diese Möglichkeit gibt vielen älteren Menschen Sicherheit“, sagt Christian.
Ihm sei aber wichtig zu betonen, dass damit niemand bevormundet würde. Die Absicherung erfolge nur unter gegenseitigem Einverständnis.
Komfortzone im digitalen Raum
Vor kurzem hat das Startup seine Büroräume im Mitteldeutschen Multimediazentrum in Halle bezogen. Jetzt wartet SenAssist darauf, für erstmalige Testzwecke zum Einsatz zu kommen. Potenzielle Tester:innen gibt es viele. 300.000 betreute Wohneinheiten gab es Stand 2020 in Deutschland, weitere 70.000 sind in Planung. Ob Stadt oder Land: Sie sollen durch die Plattform vernetzt werden. Das gilt auch für zukünftige Generationen, die digital deutlich versierter sind. Aus diesem Grund sieht das Konzept hinter SenAssist schon jetzt vor, flexibel auf neu entstehende Bedürfnisse zu reagieren und durch vereinfachte Prozesse in einem sicheren Umfeld einen Mehrwert zu bieten. „Spannend wäre auch, komplette Wohnungen auszurüsten, in denen zum Beispiel der Fernseher nur durch ein Wischen mit dem Tablet verbunden wird“, sagt Christian. Spätestens dann würde aus dem dunklen Raum eine digitale Komfortzone werden, die sich den Wünschen und Vorstellungen ihrer Silver Surfer:innen optimal anpasst.