Die NanoSen GmbH wurde erst im Januar 2024 in Chemnitz gegründet. Seitdem arbeitet das Startup kontinuierlich an der Weiterentwicklung seiner Produkte und befindet sich aktuell in den frühen Phasen der Markteinführung. Wir haben mit den Gründern Rajarajan Ramalingame, Rick Henkner und Joseph Stephens gesprochen.
Willkommen lieber Raja, Rick und Joseph – Schön, dass ihr so zahlreich Zeit für uns findet! Ist euer Team nun komplett?
Joseph: Ja, wir sind fast vollzählig, nur Dr. Sonia Bradai fehlt. NanoSen besteht aus einem vierköpfigen Team, das aus vier verschiedenen Kontinenten stammt und fünf verschiedene Muttersprachen spricht. Rajarajan Ramalingame ist der leitende Elektronikingenieur und Geschäftsführer mit langjähriger Erfahrung in der Mess- und Sensortechnik. Dr. Sonia Bradai ist Chief Production Officer und sorgt dafür, dass die Kund:innen qualitativ hochwertige Produkte in der richtigen Menge und zum richtigen Zeitpunkt erhalten. Rick Henkner, Chief Technical Officer, bringt seine Expertise im Maschinenbau in die Entwicklung der NanoSen-Produktionslinie und die Prototypenentwicklung ein. Ich bin für die finanzielle und strategische Entwicklung des Unternehmens verantwortlich und trage den Titel Chief Operations Officer/Chief Financial Officer.
Welche Produkte stellt ihr her?
Joseph: Unser Kernprodukt ist ein sogenanntes “Kraftsensormaterial” auf der Basis von Nanokompositen, um die Grenzen dünner und flexibler Sensorik zu erweitern. Mit diesem Polymer Nanocomposite (engl. Abk. PNC) Material können Kraftsensoren entwickelt werden, die Flexibilität und Robustheit bei einer Materialdicke von nur 0,4mm vereinen. Das Sensormaterial kann unter Laborbedingungen zwischen 10 mg und 40 kg messen und der modulare Aufbau nutzt Skaleneffekte in der Fertigung, um ein hochwertiges Produkt zu einem niedrigen Stückpreis anzubieten.
Wie ist die Idee zur Gründung von NanoSen entstanden?
Raja: Ich komme aus Indien und bin 2011 für mein Masterstudium nach Deutschland gekommen. Danach habe ich als Wissenschaftler im Bereich Nanokomposit-Sensoren gearbeitet. Im Rahmen meiner Forschung habe ich ein neues Material entwickelt, das heute die Basis für unser Produkt ist. Da wir im Hochschullabor der TU Chemnitz keine großen Mengen herstellen konnten, haben wir uns mit einem neuen Herstellungsverfahren selbstständig gemacht, um dieses Material in großen Mengen zu produzieren.
Joseph: Angefangen hat alles mit dem EXIST-Forschungstransfer, den wir im Oktober 2022 erhalten haben. Damit begann die Entwicklung des Herstellungsverfahrens und damit eine Prozessinnovation, die bisher noch kein anderes Unternehmen auf dem Markt geschafft hat. Nun sind wir am offiziellen Ende der Förderung angelangt und seit Mai 2024 völlig eigenständig. Die Produkte von NanoSen werden derzeit in verschiedenen Varianten angeboten, um den Kunden ein auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenes Produkt anbieten zu können.
Woraus besteht eure Sensortechnologie und was kann sie genau?
Raja: Das Ausgangsmaterial für die Nanokomposite ist ein medizinisches Silikon. Silikon ist chemisch resistent, temperaturbeständig und sehr robust. Hinzu kommen Kohlenstoff-Nanopartikel, die das Material leitfähig machen. Wir nehmen eine kleine Portion dieser Nanopartikel und mischen sie in das Silikon. Die Herausforderung besteht darin, diese Nanopartikel homogen zu verteilen, damit die Matte überall die gleichen Eigenschaften und die gleiche Leitfähigkeit hat.
Joseph: Unser patentiertes NanoSen-Messsystem kann als Ergänzung zum Sensormaterial oder zu den Sensoren erworben werden. Dies ermöglicht einen schnellen Einstieg in die Impedanzmessung, da die PNC-Kraftsensoren mit Widerstand oder Impedanz gemessen werden können. Für Anwendungen als taktiler Sensor oder in einer Matrix zur Messung einer Kraftverteilung ist die Widerstandsmessung das kostengünstigste Messprinzip. Für kalibrierte und präzise Messungen sollte die Impedanzmessung verwendet werden, um die hohe Leistungsfähigkeit des Kraftsensors zu erreichen.
Was ist das Besondere an euren Polymerkraftsensoren?
Raja: Unsere Hauptkonkurrenten sind die Force Sensing Resistors, mit denen wir gerne verglichen werden. Aber FSRs sind nicht sehr robust und dürfen auch nicht überlastet werden. Wenn sie überlastet oder Langzeit belastet werden, gehen sie kaputt. Unser Sensormaterial hingegen ist sehr langlebig. Wir haben das Material mit 15 Kilogramm belastet, etwa 600.000 Zyklen lang, und es hat keine Abnutzungserscheinungen gezeigt. Auch die Temperaturstabilität ist sehr hoch, weil es aus einem hochwertigen Silikon ist. Es hält mehrere 100 Grad Celsius aus. Außerdem ist der Messbereich anderer Sensoren im Vergleich zu unserer Technologie sehr begrenzt.
Mit dem PNC-Material bewegen wir uns in einem Sektor, in dem wir das Potenzial haben, unseren Kund:innen eine hohe Leistung zu niedrigen Kosten zu bieten. Dabei sehen wir uns in erster Linie als Rohstoffhersteller. Wir liefern unser Material, mit dem unsere Kund:innen dann ihre eigenen Sensoren herstellen können, diese in jede beliebige Form inhouse zuschneiden und verarbeiten können. So können unsere Kund:innen Kosten einsparen.
Wer sind eure Kund:innen und wo werden eure Sensoren eingebaut?
Joseph: Für Großproduzenten mit automatisierten Fertigungsanlagen wird das Sensormaterial als Halbzeug geliefert. Für Kunden, die individuelle Produkte entwickeln, werden vorgefertigte Sensoren mit einem Durchmesser von 10 mm oder 20 mm angeboten. Unsere Kund:innen kommen dabei hauptsächlich aus den Bereichen Medizintechnik, Industrie, Automotive, Robotik und Anlagenbau.
Raja: Am Anfang starteten wir in mit der Orthopädie, also entwickelten wir für die Medizintechnik. Im Vorfeld haben wir viel einige Projekt umgesetzt, etwa ein Smart Band, das die Muskelaktivität erkennt und mit einer KI diese Gesten als Sprache übersetzt oder Handschuhe mit Kraftsensor für Telemedizin Operationen. Wir haben auch eine kleine Matratze erstellt für die Dekubitus-Überwachung.
Einige Beispiele von Anwendungen, an denen wir im Moment mit Kund:innen arbeiten sind eine Schuhsohle, mit der wir die Kraftverteilung bei Diabetikern messen können, z.B. ob sie einen Teil des Fußes zu stark belasten oder ob sich das Belastungsmuster durch die Krankheit verändert. Aber auch in der Robotik haben wir Kund:innen, mit denen wir aktiv entwickeln. Ein weiteres Projekt ist für die Messung von Montageschrauben für den industriellen Anlagebau, die mit FSRs gar nicht möglich wäre. Denn wie bereits erwähnt, wenn FSRs über einen längeren Zeitraum belastet werden, gehen sie kaputt. Unsere Produkte bieten daher eine passende Lösung für eine solche Anwendung.
Bietet ihr ein spezielles Angebot für Startups und Einsteiger:innen an?
Ja, unser Entwicklungskit besteht aus unserer Auswerteelektronik, fünf Sensoren, eine Matte unseres PNC Materials und Beispielelektroden. Damit kann man sofort mit den Sensoren loslegen, das Material selbst zuschneiden und damit experimentieren. Wir sind immer offen für kreative Menschen und Startups, die Lust haben, neue Anwendungen mit unserer neuen Technologie auszuprobieren. Keine Idee ist zu verrückt, denn wir haben eine verrückte neue Technologie.
Warum habt ihr euch für Mitteldeutschland als Gründungsstandort entschieden?
Joseph: Die Entscheidung für Chemnitz als Gründungsstandort fiel aufgrund der starken Technologie- und Forschungslandschaft in der Region. Wir sind mit dieser Wahl sehr zufrieden und sehen hier auch großes Potenzial für weiteres Wachstum. Darüber hinaus sind die Nähe zu renommierten Forschungseinrichtungen und die Unterstützung durch lokale Netzwerke wie das Gründungsnetzwerk SAXEED, das TUClab-Angebot der TU Chemnitz und futureSAX ideal für die weiteren Wachstumsphasen. Darüber hinaus haben wir in Chemnitz ein großes Netzwerk mit anderen Start-ups aufgebaut, um von deren Erfahrungen zu profitieren.
Raja: Unsere gesamte Technik ist noch hier in Chemnitz. Denn hier gibt es eine hervorragende Struktur, zum Beispiel die nötige Infrastruktur, Maschinen, das Material selbst und auch Leute, die uns bei der Vermarktung der Produkte helfen. Auch Netzwerke mit anderen Fakultäten oder anderen Start-ups sind sehr hilfreich. In unserer ersten Phase haben uns die TU Chemnitz und die Professoren Büros, Zugang zum Labor, Technik und alle Maschinen zur Verfügung gestellt. Wir haben auch viel Coaching von Saxeed bekommen. Für mich als Forscher war es eine große Hilfe, von der Forschung in diese unternehmerische Richtung zu gehen und diese Brücke zu schlagen. Das EXIST-Forschungstransferprojekt, das wir gewonnen haben, hat uns auch sehr geholfen, diese Zeit für diesen Transfer zu bekommen. Unser Projekt war auf eineinhalb Jahre angelegt.
Wie geht es bei nun euch weiter, was sind die Next Steps?
Raja: Wir haben im Herbst den TUClab-Wettbewerb an der TU Chemnitz gewonnen. Wir haben zudem die Option, eine Finanzierung über die Sächsische Beteiligungsgesellschaft zu bekommen. Wir sind auch mit dem TGFS und HTGF im Gespräch für eine weitere Finanzierungsrunde.
Joseph: Unser Geschäftsmodell skaliert mit dem Verkauf des Materials. Mit der Anlage, die wir gebaut haben, können wir bis zu 5 Millionen cm² unseres PNC Materials pro Jahr produzieren. Wenn wir das verkaufen, skaliert unser Geschäft ziemlich schnell. Aber bis der Markt das Material für neue Produkte adoptiert hat und große Hersteller ihre eigenen Kraftsensoren auf den Markt bringen, wird es dauern. Aber jetzt schon generieren wir in den frühen Phasen Umsätze, mit denen wir profitabel werden können.
Wir verkaufen bereits unser Material und unsere Entwickler-Kits. Wir sind bereits jetzt international tätig und beliefern nicht nur unseren Kunden in Deutschland, sondern auch nach Kanada, nach Dänemark, Großbritannien, Finnland, Frankreich, Spanien, Japan und Portugal. Ab sofort geht es weiter in Richtung starkes Wachstum und darum, möglichst viele zahlende Kund:innen zu finden.
Was würdet ihr Gründenden mit auf den Weg geben?
Joseph: Wir empfehlen angehenden Gründer:innen immer wieder das Gleiche: ein starkes Team aufzubauen und hart zu arbeiten. Flexibilität ist wichtig, um auf Marktveränderungen reagieren zu können, während Rückschläge als Chance gesehen werden sollten, daraus zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Mit Ausdauer und Innovationsgeist können Gründer erfolgreich sein und ihre Visionen verwirklichen. Nicht zuletzt sollte sich das Team auf das Wesentliche konzentrieren und sich nicht von anderen potenziellen Projekten oder überflüssigen Produktfeatures ablenken lassen.
Raja: Einen Schritt nach dem anderen machen und nicht in Hektik verfallen. Denn manchmal handelt man nicht überlegt, weil man sich die Zeit nicht nehmen will oder kann, zum Beispiel weil man von anderen unter Druck gesetzt wird. Dann lieber einen Gang zurückschalten, durchatmen und auf einer guten Grundlage entscheiden, so wie ihr es gelernt habt. Wenn man eine neue, innovative Idee hat (und nicht an einer universitären Einrichtung arbeitet), wartet man mit der Veröffentlichung, bis das Produkt marktreif ist, und meldet es so schnell wie möglich zum Patent an.
Rick: Da fällt mir ein Sprichwort ein...
"Wenn man schnell vorankommen will, geht man allein. Aber wenn man weit kommen will, geht man zusammen."
Man muss wirklich zusammenarbeiten. Wenn man ein wirklich großes Ziel hat, kann man es nie alleine erreichen. Teamwork und Durchhaltevermögen sind wichtig.
Vielen Dank für das Interview, wir sind gespannt wo eure Reise noch hingeht!