Foto: Trendblende, Michael Deutsch
Mitgründerin Patricia Holm im IdentMe - Labor. Für den Aufbau ihres Labors erhielt das Startup ein Darlehen durch einen Business-Angel.
Am Anfang war der Kammmolch – so könnte die Gründergeschichte hinter dem Startup IdentMe aus Halle (Saale) beginnen. Dass die bedrohte Amphibienart für Anne Findeisen, Patricia Holm und Richard Pabst der Startschuss in die Selbstständigkeit sein würde, war den drei Unternehmer*innen zu diesem Zeitpunkt sicher nicht bewusst. Vor kurzem erst haben sie eine erste Seed-Finanzierung erhalten – auch dank des Kammmolchs. Was es damit auf sich hat? Das verraten Anne und Patricia im Interview.
Ein Gastbeitrag von Melanie Friedrichs und unserem Partner Univations GmbH.
Vom wissenschaftlichen Projekt zum Startup
Im Jahr 2014 hat Anne den Kammmolch erstmals auf dem Labortisch – genau genommen seine DNA. Sie studiert Molekulare und Angewandte Biotechnologie im Master an der RWTH Aachen. Eine Professorin der Hochschule Anhalt hatte sie auf ein innovatives Experiment aufmerksam gemacht, durch welches tierische Spezies anhand ihrer Umwelt-DNA (auch eDNA) identifiziert werden konnten. In der Praxis bedeutet das, dass durch so eine Analyse nur anhand einer Umweltprobe das Vorkommen des Kammmolchs geprüft wurde. Seine DNA konnte nachgewiesen werden, weil Lebewesen dauerhaft winzige Mengen ihrer DNA an die Umwelt abgeben.
„Das war wirklich spannend und ich habe mich daran gemacht, diesen Ansatz weiterzuverfolgen“, erzählt Anne.
Es entsteht ein wissenschaftliches Projekt. In den folgenden drei Jahren kommen auch die anderen beiden Gründungsmitglieder mit der Methodik erstmalig in Berührung und helfen bei dessen Weiterentwicklung und Anpassung.
„Das Verrückte daran ist, dass wir zu unterschiedlichen Zeitpunkten daran gearbeitet haben und uns so lange Zeit überhaupt nicht kennengelernt haben“, sagt sie.
Foto: Andreas Bindseil
Das Gründertrio von IdentMe: Anhand einer Wasserprobe können Patricia Holm (v.l.), Richard Pabst und Anne Findeisen die eDNA verschiedener Spezies bestimmen.
Mentorin Prof. Dr. Christiana Cordes bringt den Stein letztendlich ins Rollen. 2017 holt sie das Trio zusammen an die Hochschule Anhalt und betraut es mit der Aufgabe, das wirtschaftliche Potenzial der eDNA-Analyse zu testen. Das Gründungsprojekt IdentMeentsteht. Zwei Jahre bleiben für dieses Vorhaben – solange erfahren die zukünftigen Gründer*innen finanzielle Unterstützung durch das ego.-Gründungstransfer-Förderprogramm.
Molekularbiologisch bestätigt
Die von IdentMe angewandte Methodik, mit deren Hilfe Tierarten anhand ihrer eDNA erkannt werden, ist zunächst für Gewässerproben spezialisiert.
„Das ist auch darin begründet, dass in Sachsen-Anhalt besonders der Bedarf nach der Identifikation von Amphibienarten besteht“, sagt Patricia.
Eine kleine Wasserprobe aus einem Teich oder See reicht bereits aus, um das Biotop mithilfe von molekularbiologischen Methoden auf die eDNA bestimmter Arten zu untersuchen. Anhand des Ergebnisses lässt sich dann mit großer Sicherheit sagen: In diesem Gewässer lebt ein Kammmolch. In ihrem kontinuierlich wachsenden Portfolio befinden sich mittlerweile 13 verschiedene Spezies. Deren DNA kann durch sogenannte Primer und Sonden in einer Wasserprobe detektiert werden. Schon jetzt sei das ehrgeizige Ziel der Unternehmer*innen, durch eine Abwandlung des Verfahrens auch ganze Artengemeinschaften sowie Landlebewesen durch Umweltproben zu identifizieren.
Foto: PMU Photography, Philipp Mundil
Statt bedrohte Tiere zu sichten oder zu fangen, wird ihr Vorkommen durch molekularbiologische Prozesse nachgewiesen.
Mit der modernen molekularbiologischen Methode können im Vergleich zur herkömmlichen Art-Identifizierung viele Stunden Arbeitszeit eingespart werden. Bisher basiert der Vorgang auf Daten, die durch das Sichten, Fangen und Verhören der Tiere gewonnen werden.
„Jeder kann sich vorstellen, was es für ein enormes Fachwissen benötigt, um so eine Aufgabe zu übernehmen“, sagt Patricia.
Und auch gute Herpetolog*inne, also Expert*innen für Amphibien und Reptilien, können sich nicht immer auf ihre biologischen Kenntnisse verlassen. Um Gelbbauchunke und Laubfrosch zu erspähen, spielen auch Witterungsverhältnisse, Tageszeiten und Standorte eine wichtige Rolle. Statt vier bis sechs Mal über einen mehrstündigen Zeitraum vor Ort auf das Glück zu hoffen, braucht IdentMe von seinen Auftraggebern nur eine Wasserprobe.
„Im Allgemeinen ist also lediglich eine Begehung nötig“, fasst Patricia zusammen.
In Deutschland seien sie damit eines der ersten Unternehmen, die dieses Verfahren für Süßwasser anbieten. Durch die molekularbiologischen Untersuchungen sei es möglich, binnen 24 Stunden ein Ergebnis vorzulegen. Realistisch beläuft sich der Zeitraum derzeit auf rund eine Woche, bis Auftraggeber über das Resultat ihrer eingeschickten Probe informiert werden.
Gewissheit für Bauprojekte und Naturschützer
Und wer benötigt so einen Service?
„Generell Ingenieur- und Planungsbüros, die die ökologische Baubegleitung durchführen“, sagt Anne.
Gerade bei Bauprojekten spielt das Thema Naturschutz eine große Rolle. Prominente Beispiele, in denen dem plötzlichen Auftreten einer geschützten Tierart der Baustopp folgte, wandeln immer wieder durch die Medien. Auch in Sachsen-Anhalt finden sie sich: Die Bundesstraße für den Anschluss an die A9 im Kreis Anhalt-Bitterfeld steht vor der Fertigstellung. Doch die Knoblauchkröte machte den Planern einen Strich durch die Rechnung. Für die Prüfung auf geschützte Arten an und um Gewässer gewinnen Bauplaner mit der eDNA-Analyse durch IdentMe zusätzliche Sicherheit – und geschützte Arten werden in der Planung rechtzeitig berücksichtigt.
„Ihr Fund auf einem Baugebiet ist meist eine Schreckensnachricht. Durch die moderne Methode erfahren die Verantwortlichen das aber schon so früh, dass sie genügend Budget für z.B. Ausgleichsmaßnahmen einplanen können“, betont Anne.
Auch abseits der Wirtschaftlichkeit sind Monitoring-Maßnahmen wichtig.
„Im Bundesnaturschutzgesetz tauchen viele verschiedene, geschützte Tierarten auf. Behörden sind dazu verpflichtet, ihren Erhaltungszustand zu prüfen und diese Ergebnisse an die EU weiterzuleiten“, weiß Patricia.
Somit gehören auch Umweltämter und Naturschutzverbunde auf die Kundenliste von IdentMe. Durch einige Pilotkunden aus dieser Branche wurde bereits erwiesen, wie innovativ und vor allem wirksam das Verfahren von IdentMe ist. Dazu gehört z.B. der Naturschutzbund Sachsen-Anhalt. Über IdentMe erfuhr er vom sicheren Vorkommen des bedrohten Fischotters in einem seiner Gewässer. Eine Sichtung waren bislang nur ein einziges Mal gelungen, durch IdentMe ging der Verband auf Nummer sicher.
Life-Sciences-Gründerkultur – das Standort-Plus
Seit dem Antrag für den ego.-Gründungstransfer hat sich für das Gründerteam viel verändert. Auf Tagungen und Messen erhielten sie starkes Feedback von potenziellen Kunden, sammelten Kontakte zu Lieferanten und wuchsen durch das gemeinsame Ziel vor Augen auch als Team zusammen. Jedes Mitglied hat sein eigenes Steckenpferd. Anne mit bereits zehnjähriger Erfahrung im Projektmanagement übernimmt die Aufgaben im Bereich Finanzen und Administration. Patricia ist in Sachen Marketing und Vertrieb breit aufgestellt und verfügt über ein Netzwerk in diverse Planungsbüros. Richard ist für die molekularbiologischen Nachweise, die kontinuierliche Weiterentwicklung der Methode sowie die Auswertung der Ergebnisse verantwortlich.
Auch standorttechnisch gab es Veränderungen. Von den Laboren der Hochschule Anhalt ging es an den Weinberg Campus in Halle.
„Langfristig würden wir dort auch gern bleiben. Die Infrastruktur ist gegeben, durch das Technologie- und Gründerzentrum Halle haben wir Zugang zu tollen Netzwerken und zur Gründerkultur gerade im Life Science-Bereich. Das haben wir vorher noch nicht so kennengelernt“, ist Anne begeistert.
Dort nehmen sie derzeit auch an dem Weinberg Campus Accelerator Programm teil und profitierten vorher auch durch die Coachings des Gründerservices der Uni Halle. Die finanzielle Förderung ist für Anne ebenfalls ein wichtiger Standort-Faktor, denn Entwicklungen im molekularbiologischen Bereich sind zeit- und kostenintensiv. Auf das ego.-Gründungstransfer-Stipendium folgte für das Trio derzeit die Finanzierung mithilfe des ego.-Start-Programms.
„Ich bin mir nicht sicher, ob wir es ohne diese Förderung in einem anderen Bundesland genauso schnell so weit gebracht hätten“, sagt sie.
Erste Finanzierung auf Umwegen
Weit gebracht hat es IdentMe allemal. Mit einer ersten Finanzierung konzentriert sich das Trio auf den Auf- und Ausbau ihres jungen Unternehmens – ganz einfach war der Weg bis dahin aber nicht.
„Unsere Finanzierung ist für Startups sicherlich nicht der gängigste Weg“, sagt Anne rückblickend.
Zunächst wenden sie sich dafür an eine Risikokapitalfirma. Schnell stellen sie allerdings fest, dass die Vorstellungen der potenziellen Geldgeber*innen über die Zukunft von IdentMe nicht mit denen der drei Gründer*innen zusammenpasst. Für IdentMe stellen sich die Gründer*innen ein organisches Wachstum und eine nachhaltige Zukunft vor, von der sie gern ein Teil bleiben möchten.
„Vielleicht so lange, dass sie uns zu unserem Renteneintritt aus dem Labor tragen müssen“, sagt Anne und lacht.
Denn dieser Glaube an das Startup und seine Zukunft rief einen anderen Investor auf den Plan – einen Businessangel, der IdentMe ein Darlehen anbietet. Das Trio sagt zu. Das Geld wird dringend benötigt.
„Die erste Finanzierung ist für Startups im naturwissenschaftlichen Bereich eine riesige Hürde. Ein ausgestattetes Labor, was auch die Sicherheitsanforderungen erfüllt, ist eine wirklich teure Angelegenheit, was allein nur schwer zu stemmen ist“, so Patricia.
Das Ziel vor Augen – Die Implementierung des eDNA-Verfahrens in den deutschen Richtlinien
Das Labor von IdentMe befindet sich derzeit im Aufbau, erste Kundenanfragen liegen bereits vor und die drei jungen Wissenschaftler*innen wollen nun richtig durchstarten.
„Wir freuen uns darauf, andere von der eDNA-Analysemethode zu überzeugen. Natürlich begegnen uns – wie in allen Bereichen – Skeptiker, aber es gibt auch viele Menschen, die sehr aufgeschlossen sind“, berichtet Patricia.
Viele Länder haben eDNA-Verfahren in ihre Richtlinien zum Monitoring von Arten bereits implementiert. Auch in Deutschland stehen die Zeichen auf Novellierung, sodass der Kundenstamm von IdentMe weiter steigen dürfte.
„Wir möchten unseren Teil zum Erhalt und Schutz der Arten beitragen und dabei helfen, mehr Wissen um die sinkende Biodiversität zu generieren“, so die Gründerin.
Vielleicht helfe es auch dabei, den Prozess des Artenverlustes zumindest einzudämmen. Das würde auch dem Kammmolch zugutekommen: Er könnte in Deutschland von der Liste der bedrohten Tierarten gestrichen werden.