Die sogenannte “German Angst” ist ein Stereotyp, die sich im Ausland wacker hält. Doch wenn es um KI geht, fragt sich der Autor des Buchs ”Die KI-Nation”, wie viel wir Deutschen dazu beitragen, diesen Stereotyp zu füttern. Der KI-Experte, Investor und Rise of AI-Macher Fabian Westerheide wirft mit seinem Buch das Thema Künstliche Intelligenz auf den Markt. Das Buch, das am 15. Mai erschienen ist, soll ein “umfassender Leitfaden für alle, die die Zukunft mitgestalten wollen” sein. Im Folgenden lest ihr eine kurze Zusammenfassung daraus.
Wieso liegt Deutschland in der Entwicklung künstlicher Intelligenz zurück?
Die Angst vor der Zukunft und Veränderungen scheint insbesondere dort präsent zu sein, wo sich die Deutschen nicht mit KI auskennen, und (noch) nicht täglich mit ihr zu tun haben. Es gibt nicht wenige Deutsche – aber natürlich auch weltweit viele Menschen – die sich Sorgen um die Risiken und Nebenwirkungen von KI machen. Zu einem gewissen Grad ist die „German Angst“, wenn es um KI geht, also nicht nur ein deutsches Phänomen.
Die Sorge ist verständlich. Es ist wichtig, darüber zu sprechen. Doch “wir Deutschen” scheinen in mancher Hinsicht tatsächlich ein bisschen vorsichtiger zu sein als andere Länder. Der Autor hegt die Vermutung, dass dies vielleicht an unserer historischen Vergangenheit liegen könnte, die immer wieder von extremer staatlicher Überwachung und Kontrolle geprägt war. Eine gewisse Skepsis gegenüber KI-Systemen rührt vermutlich daher, dass große Mengen an Daten in den falschen Händen landen könnten. Gleichzeitig drückt er aus, dass wir uns gerade jetzt in einer Zeit befinden, in der es viel mehr Mut bräuchte, anstatt zurückhaltende Vorsicht. Denn der starke Wirtschaftsstandort Deutschland weist im KI-Bereich noch einige Schwächen auf.
KI wird aktuell überwiegend durch die amerikanischen Hyperscaler entwickelt und betrieben – auch Deutschland nutzt zu etwa 50 Prozent diese Infrastruktur. Was die Modelle betrifft, gibt es ein paar vielversprechende deutsche Unternehmen wie Aleph Alph oder DeepL, die aus international-deutschen Teams bestehen und verhältnismäßig viel Kapital bekommen haben. Dennoch sind sie nach Einschätzung des Experten im Vergleich zu den amerikanischen Modellen nicht wettbewerbsfähig.
Deutsche Vorsicht bremst Innovationen aus
Für den Autor liegt der Grund dafür klar auf der Hand: Während Amerikaner:innen “einfach loslegen”, hält uns Deutschen unsere Vorsicht und die Angst davor, Fehler zu machen, zurück. Denn die deutsche Kultur ist von einer hohen Fehlerintoleranz geprägt. Das führt dazu, dass sich selbst die mutigsten Gründer:innen nicht trauen, ein unperfektes Produkt auf den Markt zu bringen. Denn sie wissen, dass KI Fehler macht – und “wir” wollen keine Fehler. ChatGPT “halluziniert”, “lügt” und generiert auch dann „Antworten“, wenn das Programm gar keine richtige Antwort auf eine Frage hat.
Dieses Verhalten ist mit der deutschen Mentalität größtenteils unvereinbar. Natürlich spricht das auch für die “deutsche Qualität” und Zuverlässigkeit. Doch in den USA geht man hingegen viel pragmatischer und mutiger an die Dinge heran, es herrscht eine Kultur des „Just do it“. Wir denken sehr lange darüber nach, bevor wir etwas wirklich umsetzen. Westerheide postuliert, dass wir uns diesen Luxus im digitalen Zeitalter nicht mehr leisten können. Im internationalen, digitalen Wettbewerb ist dieses zögerliche Verhalten einfach nicht förderlich. Hier läuft nichts mehr ohne Trial-and-Error, ohne Iterationen und Sprints.
Deutsche KI-Startups sind Hoffnungsträger
Die gute Nachricht ist jedoch, dass nach Experteneinschätzung doch noch Hoffnung für den deutschen Markt besteht. Denn die Anzahl der Startups wächst! 2023 gab es bereits circa 600-700 KI-Unternehmen in Deutschland. Auch das Investitionsvolumen für diese Unternehmen ist gestiegen. Dennoch ist der deutsche Markt vergleichsweise klein und das liegt am Kapital, Startups sind dabei “chronisch unterfinanziert”. Dabei gäbe es jede Menge Möglichkeiten, diese Projekte zu fördern, etwa durch die Bundesagentur für Sprunginnovationen SPRIND, die selbständig über Forschungs- und Gründungszuschüsse entscheiden kann.
Auch beim Thema Daten ist Deutschland wohl ein echter Sonderfall, denn die Einhaltung der DSVGO hat hierzulande einen hohen Stellenwert. Natürlich ist Datenschutz essentiell, um Bürger:innen zu schützen, doch leider schränken wir uns durch diese Verordnungen auch ein und gehen dadurch zaghafter mit KI um als die meisten anderen europäischen Länder.
Gute Forschungseinrichtungen, wenig wirtschaftlicher Output
Dabei hat Deutschland enormes Potenzial bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz, unsere Universitäten sind und Forschungsinstitute sind gut bis hervorragend. Nichtsdestotrotz hat es bisher leider kein deutsches Forschungsinstitut auch nur ansatzweise geschafft, an die Anzahl der erfolgreichen Ausgründungen heranzukommen, mit denen beispielsweise Harvard, Stanford oder das MIT glänzen können.
Das könnte daran liegen, dass unsere Forschung ebenfalls unter chronischem Geldmangel leidet und deshalb gezwungen ist, sich stark zu spezialisieren, um der finanzkräftigeren Konkurrenz zu entkommen. Hinzu kommt, dass unsere Innovationen zu sehr auf ihr akademisches Ansehen ausgerichtet sind, statt Ausgründungen voranzutreiben und einen gesellschaftlichen oder unternehmerischen Mehrwert zu schaffen.
Mehr Kapital für Innovation im Digitalen Sektor nötig
Deutschland gibt zwar viel Geld für Grundlagenforschung aus, aber deutlich zu wenig Geld für Startups. Doch Startups schaffen die Arbeitsplätze von morgen und bezahlen die Steuern von übermorgen. Um das zu ändern, sieht Westerheide zum einen die deutsche Industrie in der Pflicht, hier braucht es mehr Vernetzung und Mut. Grundsätzlich fließe zu wenig „altes Geld“ in die New Economy.
Die deutsche Regierung betreibt keine Zukunftspolitik bzw. keine Technologiepolitik. Digital-Budgets werden gekürzt. Im Vergleich zu anderen Ländern verzettelt sich Deutschland mit altbackener, aufwendiger Zettelwirtschaft, anstatt an die Zukunft zu denken. Bürokratie ist inzwischen zum wichtigsten Grund geworden, warum Unternehmen ins Ausland gehen. Es braucht deshalb einen kulturellen Wandel, der von der Politik ausgeht. Westerheide prophezeit, dass, wenn der Bund sich ändert und anfängt, zukunftsfähig zu denken und zu handeln, die Gesellschaft folgen wird.
Es wird viel zu viel gefordert und zu wenig gefördert
In der Politik bewegt sich bereits einiges, jedoch noch nicht genug: Seit 2023 nimmt die Bundesregierung das Thema ernster und setzt sich vermehrt dafür ein, KI voranzutreiben. Bund und Länder müssen ihr Engagement nun weiter ausbauen und KI nachhaltig unterstützen und fördern. Leider werden deutsche Startups jedoch noch zu selten von deutschen Unternehmen aufgekauft, sondern primär von amerikanischen oder israelischen Unternehmen. Das bedeutet, dass das Geld nicht im Kreislauf bleibt und wir Kapital verlieren, das in das deutsche Ökosystem zurückfließen sollte.
Deutschland ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wir haben bereits einiges getan, sowohl auf regionaler als auch auf nationaler Ebene, doch Westerheide ist das nicht genug. Er ist der Meinung, dass Deutschland im Bereich KI noch viel mehr kann. Wir haben kluge Köpfe, starke Ideen und den Willen, Großes zu schaffen.
Westerheides Fazit: Digitalkultur insgesamt „ausbaufähig“
"Wir haben großartige Forscher:innen, die sich teilweise schon seit 40 Jahren Künstlicher Intelligenz widmen und immer noch gründen. Wir sind in Deutschland eine KI-Familie, die miteinander kollaboriert. Das bedeutet aber auch, dass wir mit etwa 1.000 Akteur:innen, die sich wirklich jeden Tag mit KI beschäftigen, noch immer eine sehr kleine Industrie sind. Innerhalb dieses Ökosystems existiert eine fantastische Energie mit jeder Menge Innovationspotenzial."
– Fabian Westerheide (Autor "Die KI-Nation")