Bezahlbarer Wohnraum ist in Deutschland Mangelware – und nachhaltige Lösungen sind oft teuer oder schwer umzusetzen. Das Start-up navou mit den Standorten Leipzig und Düsseldorf will das ändern und setzt auf einen neuen Ansatz: den Umbau bestehender Gebäude mithilfe eines eigenen Bausystems. Lisa Weise-Hoff, Mitgründerin von navou, erklärt im Interview, wie das Konzept funktioniert – und warum es eine echte Alternative zu herkömmlichen Bauprojekten sein könnte.
Liebe Lisa, welche Vision verfolgt navou – und wie wollt ihr diese umsetzen?
Unser langfristiges Ziel ist es, ein Immobilienportfolio von 10.000 Wohneinheiten aufzubauen. Unser Geschäftsmodell basiert auf Skalierbarkeit. Durch die Kombination aus effizientem Umbau und nachhaltiger Entwicklung können wir den Wohnungsmarkt langfristig verändern. Unsere Erfahrung in der Skalierung innovativer Geschäftsmodelle – auch aus früheren Startups – hilft uns, navou strategisch zu entwickeln. Dabei setzen wir auf unser eigenes Bausystem, das es ermöglicht, bestehende Gebäude effizient und ressourcenschonend zu modernisieren. Unser Ziel ist es, zu zeigen, dass nachhaltiges Wohnen nicht nur möglich, sondern auch bezahlbar ist.
navou hat gerade eine erfolgreiche Finanzierungsrunde abgeschlossen. Welche Investor:innen habt ihr für die Seed-Finanzierung gewonnen?
Das Fundraising ist ein entscheidender Meilenstein für uns. Mit den neuen Mitteln können wir unser erstes reales Projekt umsetzen: den Kauf und Umbau einer Bestandsimmobilie, die wir anschließend vermieten werden. Bei unseren Investor:innen achten wir sehr darauf, dass sie auch über ihre finanzielle Beteiligung hinaus zu uns passen. So konnten wir beispielsweise drei unserer Partnerunternehmen, die uns langfristig bei der baulichen Umsetzung begleiten, für ein Investment gewinnen. Darunter mit Tobias Wiesenkämper den Gewinner des Deutschen Ingenieurbaupreises 2024, das ist so etwas wie der Oscar der Baubranche. Darauf sind wir sehr stolz.
An dem grünen Immobilienportfolio sind unsere Investor:innen direkt beteiligt. Zukünftig werden wir für eine optimale Finanzierung auch Fremdkapital und Mezzanine-Instrumente nutzen. Dadurch können wir eine noch breitere Investor:innenbasis mit unterschiedlichen Risikoprofilen ansprechen.
Wie unterscheidet sich navou von anderen nachhaltigen Wohnprojekten?
Der größte Unterschied dürfte sein, dass wir die gesamte Wertschöpfungskette selbst verantworten: Wir kaufen die passenden Immobilien an, bauen sie mit einem eigenen Bausystem in nachhaltigen Wohnraum um und vermieten sie bezahlbar. Bei anderen Wohnprojekten – ob nachhaltig oder nicht – gibt es sehr viele handelnde Personen mit oftmals gegenläufigen Interessen. Das haben wir von vornherein durch unser Geschäftsmodell ausgeschlossen.
Welche Herausforderungen erwartet ihr bei der Umsetzung eures ersten Projekts?
Als erfahrene Gründerin in der Baubranche weiß ich: Der Pilot hat es in sich. Anders als bei einer SaaS-Lösung kommt man bei einem Bauprojekt nicht mit einer halbgaren Lösung davon. Marktreife heißt, dass wir bereits mit dem ersten Projekt Wohnraum für Menschen schaffen. Das ist eine große Verantwortung und bedeutet, dass das Bausystem ab Tag 1 genehmigungsfähig sein muss. Darüber hinaus müssen wir natürlich zeigen, dass wir die Baukosten gegenüber Neubau und konventioneller Sanierung im Griff haben. Nur so können wir den neuen Wohnraum am Ende auch bezahlbar vermieten.
Welche Kriterien muss eine Bestandsimmobilie erfüllen, um für euer Konzept geeignet zu sein?
Wir haben einen recht ausgefeilten Prozess für den Ankauf der passenden Immobilien entwickelt, den wir zukünftig sogar automatisieren werden. Die wichtigsten Kriterien für die ersten Projekte sind Wohnnutzung, Leerstand, starke Sanierungsbedürftigkeit und eine gewisse Grundfläche, um möglichst viele Wohneinheiten unterzubringen. Dazu kommen natürlich Mikro- und Makrolage und viele ökonomische Kriterien.
Inwiefern trägt euer Ansatz zur Klimaneutralität des Gebäudesektors bei?
Der Gebäudesektor ist einer der größten CO2-Emittenten in Deutschland. Um die Klimaziele bis 2045 zu erreichen, müssen wir vor allem Bestandsgebäude sanieren. Unser Konzept spart nicht nur Baukosten, sondern reduziert auch den Ressourcenverbrauch erheblich, da wir bei unserem Bausystem auf einen hohen Vorfertigungsgrad, nachwachsende Rohstoffe und Kreislauffähigkeit setzen. Statt wie bei der klassischen Sanierung nur energetisch zu modernisieren, reaktivieren wir Leerstand und nutzen so auch bestehende Substanz.
Was sind die nächsten Schritte für euch?
Unser Fokus liegt jetzt auf der erfolgreichen Umsetzung unseres ersten Pilotprojekts. Wir wollen beweisen, dass unser System funktioniert – sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch und sozial. Parallel dazu planen wir weitere Finanzierungsrunden, um unser Portfolio kontinuierlich auszubauen. Unser Ziel ist es, bis 2035 nachhaltigen Wohnraum für Zehntausende Menschen in Deutschland zu schaffen.
Was wünschst du dir für die Zukunft des Wohnungsmarkts?
Mehr Mut zu neuen Ansätzen. Der Bedarf an Wohnraum ist enorm, aber die herkömmlichen Methoden reichen nicht aus, um ihn nachhaltig und bezahlbar zu decken. Wir wollen mit navou zeigen, dass es Alternativen gibt – und dass diese eine echte Lösung für die Wohnraumkrise sein können.
Was würdest du Gründer:innen mit auf den Weg geben?
Think big! Als Ostdeutsche, Frau und Mutter hätte ich mir in meiner Startphase genau diesen Rat gewünscht. Viele Gründerinnen, die ich kenne, haben großartige Ideen, allerdings höre ich zu oft, warum sie nicht groß gedacht werden. Ich wünsche mir mehr mutige Unternehmerinnen in Ostdeutschland, die gesellschaftsrelevante Lösungen in großem Stil angehen.
Mein Tipp: Sucht euch Netzwerke und Vorbilder, die euch zeigen, was möglich ist. Das hat mir enorm geholfen.
Liebe Lisa, vielen lieben Dank für das Interview! Wir behalten navou m Auge und berichten hier über die neuesten Entwicklungen im nachhaltigen Bausektor.