Eigentlich wollte Clemens Haist nach New York an die Wall Street, um Investmentbanker zu werden. Doch wie das Leben so spielt, wohnt der gebürtige Mannheimer mittlerweile in Dresden und hat ein eigenes Startup gegründet: Flexora. Mit den patentierten Sensorfolien können verschiedene Parameter wie Druck, Temperatur oder strukturelle Integrität gemessen werden. Wir haben für euch mit ihm gesprochen.
Lieber Clemens, was hat dich nach Dresden gebracht?
Ich bin in Mannheim geboren, in der Nähe aufgewachsen und zum Studium (Wirtschaftsingenieurwesen) an die TU Dresden gegangen. Ich habe mir damals ein paar Städte angeguckt und ich fand die Gemengelage hier spannend. Nach dem Studium, 2020, hatte ich eigentlich andere Pläne: Ich wollte Investmentbanker werden und nach New York. Doch dann kam es anders…
Wie kam es zu deinem Bewusstseinswandel?
Zusätzlich zu den Reisebeschränkungen im Rahmen der Pandemie habe ich in Dresden zwei Physiker kennengelernt, die hier am Institut für angewandte Physik zu gedruckter Sensorik für große Flächen promoviert haben. Ich habe sofort gesehen, dass das Potenzial hat und eine Chance ist - für Deutschland, mich selbst, aber auch für die Menschheit insgesamt!
Woher kam die Idee zum Entwickeln der Sensorfolie?
Die initiale Idee dazu ist gemeinsam mit dem TÜV Süd zusammen entstanden, die ein permanentes Monitoring von industriellen Großanlagen realisieren wollten. Ziel ist ein sogenannter “digitaler Zwilling”, also eine digitale Abbildung von ganzen Anlagen und den darin befindlichen Prozessen. Da diese Anlagen jedoch oft sehr groß sind, werden viele Datenpunkte benötigt. Demnach haben sie einen großen Bedarf an günstigen und einfach zu verwendenden Sensoren. So etwas gibt es aktuell noch nicht auf dem Markt, da die “klassischen Sensoren” zum einen relativ klobig sind und zum anderen typischerweise verkabelt werden müssen. Und wenn man große Anlagen hat, ist es einfach unwirtschaftlich, damit große Flächen auszurüsten.
Aktuell findet noch sehr vieles in der Prozesskontrolle händisch statt. Ein Beispiel: An Windkraftanlagen müssen sich oft noch Industriekletterer abseilen, um diese zu überprüfen. Dafür muss die gesamte Anlage natürlich außer Betrieb genommen werden, wodurch schnell hohe Umsatzeinbußen entstehen. Unsere Vision: Mit Flexora Sensorfolien in Echtzeit Daten über den Zustand der gesamten Anlage generieren.
Mit dieser Idee haben wir im Jahr 2021 den zweiten Platz beim Sächsischen Gründerpreis gewonnen: Das hat uns in der Entwicklung noch zusätzlich bestärkt.
Welche Parameter könnt ihr mit den Sensoren messen?
In dem beschriebenen Use Case mit dem TÜV SÜD geht es um die sogenannte “strukturelle Integrität”: Mithilfe eines Ultraschallsensors werden Korrosion, Risse oder andere Fehlstellen an Anlagen detektiert. Das ist hauptsächlich für sicherheitskritische Anlagen oder Bauteile relevant - z.B. in der Chemieindustrie. Hintergrund ist, dass sich in den untersuchten Rohren oft Stoffe befinden, die nicht in die Umwelt gelangen dürfen.
Im Rahmen einer durch die SAB (Sächsische Aufbaubank) co-finanzierten Marktanalyse haben wir uns erst mal etwas umorientiert, in Richtung Temperatur- und Druck-Sensorik. Denn dafür gibt es Anwendungsfelder, die nicht ganz so sicherheitskritisch sind. Das heißt, das ist auch für uns als Startup ein bisschen weniger aufwändig (und damit schneller), in diese Märkte einzutreten. Hier sind wir gerade dabei, unser erstes Produkt auf den Markt einzuführen. Für unsere Folie nutzen wir übrigens unkritische, leicht beschaffbare Materialien, die unter ethisch korrekten Bedingungen hergestellt werden.
Mittelfristig erweitern wir unser Portfolio an druckbaren Sensoren. Dadurch können wir dann alle gängigen Sensortypen beliebig miteinander kombinieren: Temperatur, Druck, Ultraschall, Vibration, Feuchtigkeit, Lichtintensität, Gasdetektion usw.. Also, alle Parameter, die physikalisch messbar sind, können wir auch mit unseren gedruckten Sensoren erfühlen. Dazu werden wir vermehrt auch Schaltkreise und andere elektronische Komponenten, kleine Computerchips, wenn man so will, auf die Folien drucken. Das ist eine der Kernkompetenzen meines Kollegen Dr. Sawatzki-Park. Das langfristige Ziel ist eine komplett autarke, zweite (Sensor-) Haut für Maschinen und Anlagen, die alle für unsere Kunden relevanten Parameter in Echtzeit überwachen.
Ihr seid eng mit der TU Dresden verbandelt. Inwiefern hat euch diese Nähe beim Gründen geholfen?
An “unserem” Institut - dem Institut für angewandte Physik - gibt es bereits gute Erfahrungen mit anderen Ausgründungen, zum Beispiel von Professor Karl Leo. Er hat in den letzten Jahren bereits einige bedeutende Unternehmen (z.B. Novaled GmbH) gegründet. Es gibt hier an der TU Dresden auch ein eigenes Gründungsnetzwerk “TUD|excite”, das solche Vorhaben von Anfang an unterstützt. Daher war der Weg für unsere wissenschaftliche Ausgründung bereits ein Stück weit vorgezeichnet. Im Falle unserer Gründung wurden die wissenschaftlichen und technologischen Grundlagen während der Promotionsarbeiten meiner Mitgründer Dr. David Kneppe und Dr. Michael Sawatzki-Park gelegt. Der nächste Schritt bestand darin, finanzielle Mittel zu akquirieren, um diese Ergebnisse in eine Firma zu überführen. In Deutschland gibt es hierfür das nicht ganz einfach zu bekommende Programm “EXIST-Forschungstransfer” des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz.
Wir konnten die Experten-Jury mit unserem Vorhaben überzeugen, sodass wir dann im Januar 2022 offiziell mit dem Programm starten konnten. Das war auch der Zeitpunkt, an dem sich bestätigt hat, wie viel Bedarf es in der Industrie, aber auch aus anderen Bereichen für unser Produkt tatsächlich gibt.
Welche Rolle hat das EXIST-Forschungstransfer-Programm für den Verlauf eures Startups gespielt?
Ohne das EXIST-Programm bzw. die damit einhergehenden finanziellen Mittel wäre der Transfer der Technologie aus der Wissenschaft in die Wirtschaft nicht möglich gewesen. Die Anlage, die wir beispielsweise dafür angeschafft haben, gibt es nicht “von der Stange”. Wir mussten sie extra anfertigen lassen. Dafür können wir die Sensoren direkt hier vor Ort in Dresden produzieren. Aus unserer Sicht wichtig, weil wir das Kern-Know-How bei uns behalten und die Lieferkette kurz bleibt. Das war eine Lektion, die wir unter anderem aus der Pandemie gelernt haben. Abgesehen davon bieten sowohl EXIST als auch TUD|excite eine tolle Möglichkeit der Vernetzung mit anderen Technologie-Startups aus verschiedenen Bereichen sowie Kontakte zu Investoren, Mentoren und etablierten Unternehmen. Eine wichtige Rolle also!
In welcher Phase eures Startups steckt ihr gerade?
Flexora haben wir offiziell im September 2022 gegründet. Insgesamt arbeiten aktuell zehn Personen an der Weiterentwicklung unserer Sensorhaut. Unser EXIST-Forschungstransfer Programm läuft gerade aus und wir stehen mit unserem ersten Produkt kurz vor der Marktreife. Aktuell sind wir dabei, aus der Uni auszuziehen und uns hier in Dresden einen eigenen Standpunkt für die Serienproduktion aufzubauen. Dafür ist frisches Kapital notwendig, und deshalb haben wir gerade viele Gespräche mit Investor:innen. Nachdem die letzten 1,5 Jahre aufgrund der Zinserhöhungen und diverser Krisen für Startup-Finanzierungen nicht rosig waren, geht es jetzt wieder los. Aus meiner Sicht ist gutes Timing insgesamt sehr wichtig, denn ohne Investitionen kein Fortschritt. Es ist also eine sehr spannende und bedeutende Zeit gerade für uns!
Welche Branchen nutzen eure Technologie bereits?
Aktuell kommen unsere Projekte hauptsächlich aus dem Energiesektor. Es geht um die Effizienzsteigerung von Anlagen und hier gerade um den Bereich der erneuerbaren Energien. Insgesamt lässt sich unsere Technologie aber breit einsetzen: Hauptanwendungsbereich ist das permanente Monitoring von großen - oder mit klassischer Sensortechnik schwierig zu erreichenden - Flächen. Wir adressieren hier insbesondere Bereiche, in denen es bisher noch keine kosteneffizienten Lösungen für ein solches Monitoring gibt. Das ist auch gesellschaftlich sinnvoll, denn oft müssen Betreiber in Ermangelung sinnvoller Alternativen einen ineffizienten Betrieb (oder Wartung) ihrer Anlagen in Kauf nehmen. Das sollte nicht sein. Wir können den Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, genau die Daten geben, mit denen sie ihre Prozesse und damit z.B. ihre Energieeffizienz oder den Ressourceneinsatz optimieren können.
Wie werden die gemessenen Daten übertragen?
Am Ende der Folie ist eine kleine Box, die die Daten aus der Folie ausliest, also beispielsweise die Temperaturverteilung an Sensor 1 bis 20. Diese Daten werden dann kabellos in die Steuerungssysteme der Kunden übertragen. Wir haben auch die Möglichkeit, die Daten in einem eigenen Dashboard zu visualisieren. Mittelfristig werden wir in der Lage sein, die in der Box enthaltene Elektronik für die Datenauswertung und -übertragung mit auf die Folie zu drucken.
Was macht die Sensorik-Branche besonders?
Die Sensorik-Branche ist ein sehr großer Markt; es gibt mittlerweile eigentlich für die meisten Anwendungen Sensoren. Allerdings fehlen noch Lösungen, die kostengünstig große Flächen abdecken können: Das machen wir. Dieser Bereich ist relativ groß, weil es viele große Anlagen gibt. In diesen Branchen kommen immer weniger neue Anlagen dazu, die bestehenden Anlagen werden immer älter. Deshalb müssen sie engmaschiger kontrolliert und überwacht werden. Mit unserer Folie kann man diese bedarfsgerecht warten und die Prozesse optimal steuern, noch dazu spart man sich die Ausfallkosten.
Habt ihr eure Folie patentieren lassen?
Ja. Es gibt insgesamt drei Patente, die im Rahmen der vorhin angesprochenen Finanzierungsrunde von der TU Dresden an die Flexora GmbH übertragen werden. Darüber hinaus haben wir in unserem IP-Vertrag mit der Universität eine Kooperation vereinbart. Das ist für uns sehr vorteilhaft.
Du hast anfangs erwähnt, dass euer Produkt wichtig für die Menschheit ist. Kannst du das näher ausführen?
Ich glaube, dass Sensorik insgesamt an Bedeutung zunimmt. Es gibt bereits sehr, sehr viele Daten im Internet, die wir Menschen selbst erzeugen - das können Finanzströme, Likes auf Social Media oder andere Informationen sein. Künstliche Intelligenz ist ein recht großes Thema aktuell und was solche Algorithmen in vielen Fällen benötigen, um das volle Potenzial zu entfalten, sind Daten.
Es ist eigentlich verrückt, aber über uns selbst sind oft viel mehr Daten verfügbar als über unsere Maschinen und wichtige Infrastruktur. Hier kann man also noch sehr viel herausholen für die Menschheit. Denn wenn alle Anlagen so effizient wie möglich laufen würden, dann würde das unglaublich viel Energie und Geld sparen. Das kommt dann natürlich auch uns und unserem Planeten zugute. Mit unserer Technologie leisten wir hierzu einen kleinen Beitrag.
Was würdest du deinem Ich von vor fünf Jahren raten?
Eine Gründung ist eher ein Marathon und kein Sprint. Viele Sachen dauern unter Umständen mal ein bisschen länger. Wichtig ist, dass man auf sich selbst und auch seine Kollegen ein bisschen acht gibt, eine gewisse Balance wahrt. Für mich bedeutet das, mir aktiv Zeit für Sport, Freunde, Familie und Natur zu nehmen. Auch ab und zu innezuhalten, die Vogelperspektive einzunehmen und zu reflektieren, wo man gerade steht - das kann hilfreich sein.